[130] Esthland (neuerdings meist Estland geschrieben, lat. Estonia, von den Esthen Eesti Maa, auch Meie Maa, »unser Land«, genannt), die n�rdlichste der drei baltischen oder Ostseeprovinzen Ru�lands (s. Karte »Livland, Esthland etc.«), grenzt im N. an den Finnischen Meerbusen, im O. an das Gouv. St. Petersburg (durch die Narowa von demselben geschieden), im S. an Livland und den Peipussee und im W. an die Ostsee und umfa�t mit Einschlu� der dazu geh�rigen Inseln (Dag�, Worms, Nuck� etc.) 20,248 qkm (367,7 QM.). E. bildet einen flachen, etwas gewellten Landr�cken, der sich bis zu 60120 m H�he erhebt und nach N. meist schroff zur K�ste abf�llt (Glint). Der h�chste Punkt ist im NO. der Emmo M�ggi (»Mutterberg«, 154 m). Zahlreiche, aber meist unbedeutende und nicht schiffbare Fl�sse und B�che durchflie�en das Land, nur der Grenzflu� Narowa, mit dem sch�nen Fall bei Kr�hnholm in der N�he von Narwa, hat gr��ere wirtschaftliche Bedeutung. Etwa 70 Inseln umgeben das Festland, worunter die gr��ten Dag� und Worms sind. Eine gro�e Anzahl kleiner Landseen (�ber 200) ist �ber den ganzen esthl�ndischen Landr�cken verteilt, sie finden sich �fters inmitten der Moore. Das Klima ist im Innern des Landes infolge der S�mpfe und Mor�ste unfreundlich und sehr ver�nderlich, im Sommer oft dr�ckend hei� und im Winter kalt, der Jahresdurchschnitt ergibt +4 bis +6�. Die Bev�lkerung (1897: 413,724 Seelen, d. h. 20 auf 1 qkm) bekennt sich gr��tenteils zur protestantischen Religion, nur 4 Proz. geh�ren der griechisch- und der r�misch-katholischen Kirche an. Die st�dtische Bev�lkerung repr�sentiert gegen 16 Proz. der Gesamtbev�lkerung. Man unterscheidet zwischen Esthen und Esthl�ndern. Unter den erstern versteht man die eingeborne l�ndliche Bev�lkerung, der letztere Ausdruck wird vorzugsweise f�r die im Lande geborne deutsche Bev�lkerung gebraucht. Die Esthen reden der gro�en Mehrzahl nach ihre eigne Sprache (s. Esthen), die Esthl�nder sprechen deutsch. Auf einigen Inseln und im K�stengebiet wohnen ca. 5000 schwedische Bauern. Der Ackerbau bildet die Hauptbesch�ftigung der Bewohner. Die Hauptprodukte sind Roggen, Hafer, Gerste und Kartoffeln. Man baut au�erdem viel Gem�se aller Art. Die Waldungen bestehen gro�enteils aus Nadelh�lzern; doch gibt es auch viele Birken, Erlen und Weiden. Man findet in ihnen W�lfe, B�ren, F�chse, Hafen, bisweilen auch Elentiere. Von der Gesamtfl�che kommen auf das Ackerland 16,58, auf Wiesen 25,47, auf das Weideland 16,28, auf Waldungen 18,98 und auf Mor�ste etc. 22,68 Proz. Die Viehzucht ist bedeutend: 1892 gab es ca. 75,200 Pferde (meist von der kleinen, aber ungemein kr�ftigen und gutartigen esthnischen Rasse), 191,000 St�ck Rindvieh, 168,000 Schafe, 47,500 Schweine. Die Butterproduktion hat neuerdings einen bedeutenden Aufschwung genommen. An der K�ste wird viel Fischerei getrieben, besonders Str�mlingsfang. Die Industrie, mit Ausnahme der Branntweinbrennerei, in der E. mit (1900/1901) 175 Brennereien und einer Jahresproduktion von 613,845 hl obenan steht, ist wenig belangreich. Nur in Kr�hnholm bei Narwa besteht eine bedeutende Baumwollmanufaktur, die gegen 5000 Arbeiter besch�ftigt. Desgleichen hat Reval mehrere gro�e Fabriken. 1892 wurde der Gesamtwert der industriellen Produktion (in 318 Fabriken und Werkst�tten) auf 82 Mill. Mk. gesch�tzt. Der Handel konzentriert sich in den Hafenpl�tzen Reval (s.d.), Baltischport, Kunda und Narwa. E. zerf�llt in die vier Kreise: Harrien, Jerwen, die Wiek und Wierland. Die Hauptstadt ist Reval. Das Wappen f�hrt drei blaue, rot geraupte und gezungte L�wen �bereinander im goldenen Felde.
Geschichte. In der �ltesten Zeit lebten die Esthen im n�rdlichen Livland und in E. von Fischfang, Viehzucht, Ackerbau, daneben auch von Jagd und Seeraub. Der d�nische K�nig Waldemar II. gr�ndete 1219 die Stadt Reval mit Hilfe von Deutschen, die das umliegende Land D�nemark unterwarfen; um jene Zeit wurde auch das Bistum Reval gestiftet. Das Christentum wurde teils von Reval aus, teils von den Deutschen in Livland verbreitet. Da der Deutsche Orden Anspruch auf das Land machte, so verkaufte Waldemar III. 1346 das Land f�r 19,000 Mark Silber an den Deutschen Orden, und es bildete nun einen Teil Livlands. Die Esthen sanken infolge wiederholter Aufst�nde gegen ihre deutschen Herren zu Leibeignen herab. Nachdem die Macht des Deutschen Ordens gebrochen war, huldigten die fr�h zur Reformation �bergetretenen esthl�ndischen St�nde 1561 der Krone Schwedens. Dennoch dauerten die verheerenden Kriege mit Ru�land und Polen w�hrend eines Zeitraums von 60 Jahren mit ihrem Gefolge von Seuchen und Hungersnot fast ununterbrochen fort, bis endlich Gustav Adolf bessere Zust�nde herstellte. Sowohl die kirchliche als die Gerichtsverfassung wurden neu geregelt und haben im wesentlichen bis zur Russifizierung standgestalten. Unter Karl XI. wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft vorbereitet durch Erneuerung der »Wakkenb�cher«, worin Abgaben und Leistungen der Bauern abgesch�tzt und aufgeschrieben wurden. Allein die Kriege, in die sein Nachfolger Karl XII. die Ostseeprovinzen st�rzte, verhinderten die weitere Ausf�hrung. Die Stadt Reval und die esthl�ndische [130] Ritterschaft kapitulierte 29. Sept. 1710 mit dem Zaren Peter d. Gr. von Ru�land, und im Nystader Frieden von 1721 wurde E. mit dem russischen Reich vereinigt. Durch einen Ukas vom 3. Juli 1783 wurde E. zu einer Statthalterschaft eingerichtet, 1796 aber die alte Verfassung wiederhergestellt, die Lage der Bauern verbessert, 1817 die Aufhebung der Leibeigenschaft proklamiert. �ber die Russifikationsversuche s. Livland. Vgl. P. v. K�ppen, Die Bewohner Esthlands (Petersb. 1847); A. v. Gernet, Geschichte und System des b�uerlichen Agrarrechts in E. (Reval 1901); F. M�ller, Beitr�ge zur Orographie und Hydrographie von E. (Petersb. 1869 bis 1871, 2 Tle.); J. H. Schmidt, Karte von E. (Berl. 1871); P. Jordan, Beitr�ge zur Statistik des Gouvernements E. (Reval 186774, 3 Bde., u. 1889); Kaestner, Das refundierte Bistum Reval (G�tting. 1876); Bunge, Das Herzogtum E. unter den K�nigen von D�nemark (Gotha 1877); Seraphim, Geschichte Liv-, Est- und Kurlands (2. Aufl., Reval 1897, 2 Bde.), und Artikel »Esthen«.