[653] V�lkerrecht (Jus gentium, �u�eres Staatenrecht, Internationales Recht, fr. Droit des gens, Droit international), der Inbegriff der Rechtsverh�ltnisse der Staaten in ihren gegenseitigen Ber�hrungen unter einander. Es ist eine fr�her vielfach er�rterte Frage, ob es �berhaupt ein solches V. gebe u. ob dasselbe �berall als gleichen Inhaltes zu betrachten sei. In erster Beziehung gibt es zwar f�r die Geltendmachung von Rechtsverh�ltnissen unter gleichberechtigten, freien Staaten keine gesetzgeberische, von h�herer Gewalt ausgehende Gestaltung, so wie es auch an einer organischen Richtergewalt mangelt; nichtsdestoweniger ist deshalb die Existenz des V-es nicht abzul�ugnen, da sich die Beobachtung gewisser Grunds�tze des Handelns auch ohnedies doch mit Nothwendigkeit geltend macht u. die erw�hnten M�ngel hier durch die Wacht der �ffentlichen Meinung ausreichend ersetzt werden. In der zweiten Beziehung hat aber das V. so gut, wie jedes andere Recht, f�r die verschiedenen V�lker u. Staaten der Erde auch seine verschiedenartige Entwickelung gehabt. Ein anderes V. wird von den wilden V�lkerschaften, ein anderes im Orient, ein anderes im Occident befolgt, u. selbst unter denselben Nationen sind die Grunds�tze desselben im Laufe der Zeit mannigfacher Ver�nderungen unterworfen gewesen. Die umfassendste Ausbildung hat dasselbe unter den Staaten des christlichen Europa erhalten u. sich in dieser Form auch in dem Verkehr mit den von hier aus gegr�ndeten Staaten zur Geltung erhoben. In der Regel wird daher auch unter V. zun�chst immer das Europ�ische V. verstanden. Seiner Quelle nach wird dasselbe gew�hnlich in ein nat�rliches (philosophisches) u. positives V. getheilt. Das nat�rliche V. begreift die Grunds�tze, welche schon aus einer[653] inneren N�thigung anzuerkennen sind u. welche daher kein Staat dem anderen gegen�ber verl�ugnen darf, wenn er dauernd u. mit Sicherheit an dem allgemeinen Staatenverkehr Theil nehmen will. So ist von selbst in dem Wollen eines friedlichen Nebeneinanderbestehens das Recht der freien Pers�nlichkeit der einzelnen Staaten enthalten; aus derselben Grundlage ergibt sich auch schon das Recht der Vertr�ge u. Gesandtschaften, aus dem Ausschlu� eines mit einem geordneten Verkehr unvertr�glichen ewigen Kriegszustandes das Gesetz einer nicht unmenschlichen Kriegf�hrung. Das positive V. umfa�t die Grunds�tze, welche durch deutliche Willenserkl�rungen der betheiligten Staaten sanctionirt sind. Diese ergeben sich theils durch die allseitige, stillschweigende od. ausdr�ckliche Anerkennung eines solchen Grundsatzes, theils durch den Inhalt u. Geist der Staatsvertr�ge, so weit diese allen Staaten, welche an dem v�lkerrechtlichen Verkehr Theil nehmen, gemeinsam sind, theils durch die allgemeine gleichf�rmige Anwendung u. Beobachtung des n�mlichen Grundsatzes in gleichartigen F�llen, wobei einerseits die Meinung von einer Verpflichtung gegen den Anderen, andererseits dessen Meinung von einem Forderungsrecht vorwaltet, das Staatenherkommen od. die Staatenobservanz, verschieden von der sogenannten Staatsgalanterie (s.d.) u. dem blos einseitigen V�lkergebrauch, welche nur aus R�cksichten der H�flichkeit u. Menschenliebe angewendet werden, ohne da� damit Anderen ein Recht einger�umt werden soll. Neben diesem allgemeinen V. kann sich aber zwischen bestimmten Staaten durch besondere Vertr�ge auch noch ein besonderes V., ausbilden, welches nur f�r den Verkehr dieser bestimmten Staaten Geltung hat. Dem Gegenstande nach zerf�llt das V. in das V. des Friedens als den Inbegriff der Rechtsgrunds�tze, welche in Absicht auf friedliche Zust�nde in Geltung bestehen, u. das V. des Krieges, gewisserma�en die proce�rechtliche Seite des V-es, in welcher die Wege der internationalen Rechtsverfolgung dargelegt weiden. Verschieden von dem V. als einer rein juristischen Disciplin ist die �u�ere Politik der Staaten, insofern man unter dieser nur die praktischen Klugheitslehren von dem richtigen Verhalten eines einzelnen Staates gegen Die anderen versteht. Ein Widerspruch zwischen V. u. Politik, wenn er auch in der Praxis �fters vorhanden ist, sollte eigentlich nicht stattfinden. Eine sittlich correcte Politik kann niemals billigen u. thun, was das V. verwirft, u. andererseits mu� auch das V. gelten lassen, was das Auge der Politik f�r die Existenz u. die wesentlichsten Interessen eines Staates f�r nothwendig erkennt.
In Betreff der geschichtlichen Entwickelung des Europ�ischen V-es findet sich, da� zwar schon in der alten Welt im wechselseitigen Verkehr der V�lker gewisse �bereinstimmende V�lkergebr�uche, vorn�mlich in Ansehung der Kriegsf�hrung, der Gesandtschaften, Vertr�ge u. Zufluchtsst�tten (Asyle) beobachtet wurden; jedoch beruhte dies antike V. nicht sowohl auf der Anerkennung einer Rechtsverbindliche gegen andere V�lker, als vielmehr auf religi�sen Vorstellungen u. der dadurch bestimmten Sitte. Man hielt Gesandte u. Flehende f�r unverletzbar, weil sie unter dem Schutz der Religion standen u. mit heiligen Symbolen auftraten; ebenso galten die Vertr�ge mit fremden Nationen nur deshalb f�r verbindlich, weil sie durch Eide u. feierliche Opfer unter den Schutz u. die Rache der G�tter gestellt wurden. An u. f�r sich betrachteten aber sowohl Griechen als R�mer den Fremden f�r rechtlos; gegen Barbaren wurde von beiden Nationen der ewige Krieg als Grundsatz angesehen, u. auch die Philosophen der alten Welt erkannten einen rechtlichen Zusammenhang mit anderen V�lkern nur auf dem Grunde besonderer Vertr�ge an. Ein engeres Band u. ein dauerndes Rechtsverh�ltni� bestand wohl unter stammverwandten V�lkern, wie z.B. im griechischen Amphiktyonenbund u. dem Bund der Latiner, jedoch auch hier haupts�chlich nur durch den Einflu� des gemeinsamen G�ttercultus u. der damit zusammenh�ngenden besonderen Bundesanstalten. Noch roher war die V�lkersitte im Mittelalter, nicht blos in den Ber�hrungen zwischen Gl�ubigen u. Ungl�ubigen, sondern selbst zwischen christlichen Staaten; am rohesten zeigt sie sich in den n�rdlichen Seestaaten. Erst der weiteren Ausbreitung des Christenthums war es vorbehalten, die V�lker auf einen anderen Weg hinzuleiten. Die universelle Natur desselben, sein Gebot auch dem Feinde wohl zu thun konnte nicht mit einer ewigen Feindschaft der Nationen zusammenbestehen. Besonderen Einflu� auf die Anerkennung gegenseitiger allgemeiner Rechte �bte die Vereinigung der Abendl�ndischen Kirche unter einem geistlichen Oberhaupt, vor welchem sich alle F�rsten beugten, u. die durchg�ngige Verbreitung des R�mischen Rechtes als eines f�r alle christlichen Staaten, folglich auch f�r die christlichen Regenten unter einander g�ltigen Rechtes. Die Regeln des R�mischen Privatrechtes, so weit sie die Kirche nicht mi�billigte, wurden nun auch auf die V�lkerverh�ltnisse �bertragen, u. selbst die durch die Reformation herbeigef�hrte Glaubensspaltung konnte das dadurch gemeinsame Band nicht wieder aufl�sen, da auch die reformatorischen Lehrer an dieser Grundlage festhielten. Die festere innere Abschlie�ung der einzelnen Staaten gegen ausw�rtigen Einflu� gab dem V. sogar eine neue Basis u. Entwickelung in der Bildung des Souver�net�tsbegriffes (s. Souver�net�t) u. der damit in Verbindung stehenden Gleichheit aller Staaten. Zwar wurde dies Streben eine Zeit lang durch die von Italien aus (bes. durch Machiavelli) verbreitete Politik, welche den eigenen Vortheil jedes Staates jedem fremden Rechte voransetzte, wie nicht minder durch die bes. im 16. Jahrh. zur Geltung gelangende Idee des sogenannten politischen Gleichgewichtes, wornach jede Macht, entweder f�r sich allein od. durch Coalitionen, auf den Grund eines Rechtes der Selbsterhaltung, jede andere an der Erlangung einer �bergewalt zu hindern trachtete, nicht wenig wieder zur�ckgedr�ngt; allein schon im Anfange des 17. Jahrh. trat unter dem Einflu� wissenschaftlicher Pflege das Bewu�tsein der Nothwendigkeit fester Rechtsprincipien auf diesem Gebiete von Neuem um so lebendiger u. zugleich gel�uterter hervor. Bes. war es das im Jahr 1625 zuerst erschienene ber�hmte Werk des Hugo Grotius De jure belli ac pacis, welches in dieser Beziehung eine neue Bahn der Entwickelung er�ffnete u. indem es an die Grunds�tze des Christenthums, die Lehren der Geschichte, die Ausspr�che der �lteren Staatsweisen �ber Recht u. Unrecht ankn�pfte, das V. zuerst zu einer selbst�ndigen Wissenschaft erhob, ja welches mit der Zeit sogar sich unvermerkt[654] das Ansehen eines europ�ischen, von allen Confessionen gebilligten V�lkercodex errang. Alle sp�teren Bearbeitungen des V-es haben mehr od. minder auf der Grundlage dieses Werkes fortgebaut, wenn sich dabei auch beiden Einen, welche von der Thatsache od. Fiction eines der menschlichen Natur eingepflanzten Vernunftgesetzes ausgingen, welchem sich kein menschliches Wesen u. folglich auch kein menschlicher Verein entziehen d�rfe, die bez�glichen Rechtsgrunds�tze mehr als eine naturrechtliche Wissenschaft ausbildeten, wie z.B. bei Pufendorf u. Thomasius, w�hrend Andere mehr den historisch-praktischen Standpunkt einnahmen, daher mehr dem Herkommen, der Praxis u. Geschichte sich zuwendeten u. das Recht wesentlich auf die in den positiven Vertr�gen gewonnene Ordnung st�tzten. Eine bedeutende Ersch�tterung erfuhren die Principien des V-es mit der ersten Franz�sischen Revolution u. unter dem Napoleonischen Kaiserreich, bis es der allgemeinen Coalition gegen Frankreich gelang die �bermacht Frankreichs zu brechen. In den Vertr�gen von 1814 u. 1815 wurde das Bestehen eines allgemeinen V-es mehrfach ausdr�cklich anerkannt. Bes. gaben beinahe s�mmtliche christlichen Monarchen Europa's sich in der sogenannten Heiligen Allianz pers�nlich das Wort sich u. ihre Staaten als Glieder einer gro�en christlichen Familie betrachten zu wollen u. erkannten somit das wirkliche Bestehen einer sittlichen Staatengesellschaft an. Auf dem Aachener Congre� von 1818 sprachen die Bevollm�chtigten der f�nf europ�ischen Gro�m�chte es als den festen Entschlu� ihrer Regierungen aus, sich weder unter einander, noch auch gegen dritte Staaten von der strengsten Beobachtung des V-es f�r den Zweck eines dauernden Friedenszustandes entfernen zu wollen. Seit dieser Zeit u. auf Grund der damals getroffenen Vereinbarungen bilden jene f�nf Gro�m�chte (�sterreich, England, Frankreich, Ru�land, Preu�en) zugleich gewisserma�en ein V�lkertribunal, indem durch die gemeinsamen Berathungen dieser M�chte die wichtigsten politischen Angelegenheiten nicht nur dieser M�chte selbst, sondern auch dritter Staaten festgestellt worden sind. Mehre wichtige Entscheidungen des V-es wurden neuerdings durch den Pariser Frieden vom Jahr 1856 getroffen.
�ber Literatur des V-es vgl. von Ompteda, Literatur des gesammten V-es, Regensb. 1785, 2 Thle.; von Neue Literatur des V-es seit dem Jahr 1784, Berl. 1817. Hand- u. Lehrb�cher des V-es schrieben, au�er H. Grotius, noch Sam, de Pufendorf, De jure naturae et gentium, Lond. 1672, in das Deutsche, Englische, Italienische u. Franz�sische �bersetzt u. neu aufgelegt Frankf. 1706, 1715, 1744 u. �.; Glafey, V., N�rnb. 1752; J. J. Moser, Grunds�tze des jetzt �blichen europ�ischen V-es in Friedenszeiten, Hanau 1750, desselben in Kriegszeiten, ebd. 1752; Derselbe, Erste Grundlehren des jetzigen europ�ischen V-es, N�rnb. 1778, u. Versuch des neuesten europ�ischen V-es, vorn�mlich aus Staatshandlungen seit 1740, Frankf. 177780, 12 Bde.; Chr. von Wolff, Grunds�tze des Natur- u. V-es, Halle 1754; Burlamaqui, Principes du droit de la nature et de gens, Yverd 1766; Derselbe, Principes du droit naturel et politique, Genf 1764, 2 Bde.; Martens, Pr�cis du droit des gens modernes de l'Europe fond� sur les trait�s et l'usage G�tting. 1789, 2 Bde., u. Ausgabe von Pinheiro-Ferreira, Par. 1831; Derselbe, Einleitung in das positive europ�ische B., G�tting. 1796; Th. Schmalz, Europ�isches V., Berl. 1817; F. Saalfeld, Handbuch des positiven V-es, T�b. 1833; P�litz, Praktisches europ�isches B., Lpz. 1824; H. Wheaton, Elements of international law, Lond. 1836; Pinheiro-Ferreira, Cours de droit publice interne et externe, Par. 1830; Kl�ber, Europ�isches V., 2. Aufl., herausgeg. von Morstadt Schaffh. 1851; A. W. Heffter. Das europ�ische V. der Gegenwart, 3. Aufl. Berl. 1855; Oppenheim, System des V-es, Frankf. 1845. Sammlungen von Staatsvertr�gen u. V�lkerb�ndnissen als Quellen des V-es: I. du Mont, Corps universel diplomatique du droit des gens etc. depuis Charlemagne jusqu'� present, Amsterd. 172631, 2 Bde., nebst 5 Supplementb�nden; J. J. Schmau�, Corp. jur. gentium academicum, Lpz. 1730, 2 Bde.; G. F. de Martens, Recueil des principaux trait�s d'alliance, de paix etc., G�tting. 17911801, 7 Bde., u. 8 Bde. Supplemente; Derselbe, Nouveau recueil, von 1808 an, u. fortgesetzt von C. de Martens, Saalfeld u. Murhard, 32 Bde.; C. de Martens u. F. de Cussy, Recueil manuel et pratique de trait�s, conventions et autres artes diplomatiques, Lpz. 1846, 4 Bde.
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