Riga

[931] Riga, Hauptstadt des russ. Gouv. Livland, an beiden Ufern der D�na, �ber die eine 250 m lange Schiffbr�cke und eine Eisenbahnbr�cke f�hren, liegt 11 km von ihrer M�ndung in den Rigaer Busen und an den Eisenbahnlinien R.-Orel, R.-Petersburg, R.-Tukkum, R.-Mitau und den Zweiglinien nach Bolderaa (D�nam�nde) und M�hlgraben.

Wappen von Riga.
Wappen von Riga.

R. ist nach Petersburg und Odessa die wichtigste Seehandelsstadt Ru�lands. Sie besteht aus der Altstadt, der Petersburger und Moskauer Vorstadt auf dem rechten Flu�ufer und der Mitauer Vorstadt, die auf dem linken Flu�ufer und mehreren Inseln (Holme) liegt. Die Altstadt ist reich an historischen Bauten, hat aber enge und winklige Stra�en; in ihr konzentriert sich das eigentliche Gesch�ftsleben. Die seit 1856 niedergelegten W�lle sind in sch�ne Boulevards verwandelt (Thronfolger-, Alexander-, Todlebenboulevard), die mit den geschmackvollen Gartenanlagen (W�hrmannscher Park, Sch�tzengarten etc.) den sch�nsten Teil der Stadt bilden. Die noch immer m�chtig sich ausdehnenden, mit breiten Stra�en ausgestatteten Vorst�dte sind der Schauplatz des industriellen Lebens. R. hat 10 evangelische, eine reformierte, eine anglikanische, 2 r�misch-katholische, 14 griechisch-orthodoxe Kirchen nebst 2 Kl�stern und 2 Synagogen. Unter den historisch interessanten Kirchen der Altstadt sind zu nennen: die Dom- oder Marienkirche (1215–26 erbaut, mit[931] bemerkenswerten, 1893 renovierten Kreuzg�ngen), die Petrikirche (1209 in Holz, 1408–66 in Stein erbaut, mit 115 m hohem Turm), die 1226 erbaute Jakobikirche, die lettische Johanniskirche, die Gertrudkirche, an der J. G. Herder wirkte, u. a. Von den griechisch-orthodoxen Kirchen nennen wir die 1877–84 erbaute sch�ne Kathedrale, die Alexeikirche aus dem 18. Jahrh. und die Alexander-Newskikirche. Unter den Profanbauten verdienen Erw�hnung: das 1494–1515 erbaute Schlo� (einst Residenz der Gro�meister in Livland, jetzt Sitz des Zivilgouverneurs), davor die 8 m hohe Siegess�ule aus Granit mit einer bronzenen Viktoriastatue und goldener Krone (zur Erinnerung an die Kriegsjahre 1812–15 errichtet); ferner das 1864–66 in florentinischer Renaissance umgebaute Ritterhaus mit einem Saal, der die Wappenschilde s�mtlicher adliger Familien des Landes enth�lt; das 1330–34 erbaute Schwarzh�upterhaus (jetzt Klub der jungen Kaufleute), die sch�nen Geb�ude der Gro�en (St. Marien-) und der Kleinen (St. Johannis-) Gilde, das Rathaus (mit dem st�dtischen Archiv und der Stadtbibliothek), die B�rse, das Zollhaus, das Seemannshaus, das 1860–63 erbaute, sch�ne deutsche Theater, das zweite (russische) Stadttheater, das Polytechnikum etc.

Lageplan von Riga.
Lageplan von Riga.

Die Zahl der Einwohner betrug 1897: 256,197 (einschlie�lich Patrimonialgebiet), von denen ca. 46 Proz. Deutsche, 20 Proz. Russen, 20 Proz. Letten sind; den Rest bilden Esthen und andre Nationalit�ten. Der Konfession nach sind 64 Proz. Lutheraner und Reformierte, 18 Proz. Griechisch-Orthodoxe (inkl. Sekten), 6 Proz. R�misch-Katholische, 12 Proz. Juden. Die Industrie hat sich seit 1895 m�chtig gehoben, so da� R. gegenw�rtig auch industriell eine der bedeutendsten St�dte Ru�lands ist. Man z�hlte 1900: 356 Fabriken mit 42,274 Arbeitern und 67,25 Mill. Rubel Produktionswert. Vertreten sind fast alle Industriezweige; besondere Erw�hnung verdienen zwei gro�e Waggonfabriken, die elektrotechnische Fabrik der Allgemeinen Elektrizit�tsgesellschaft, zahlreiche Metallwaren- und Maschinenfabriken, chemische Fabriken, eine Anzahl gro�er S�gem�hlen, Tabak- und Zigarrenfabriken, zahlreiche Bierbrauereien, eine gro�e Gummiwarenfabrik u. a. Der gesamte Au�enhandel zur See ergab folgendes Bild (in Tausenden Rubel):

Tabelle

Unter den Ausfuhrartikeln stehen an erster Stelle Butter (1903 im Spezialhandel f�r 12,2 Mill. Rubel), Eier (15,6 Mill. Rubel), Getreide (4,4 Mill. Rubel), �lkuchen (2,5 Mill. Rubel), Wild und Gefl�gel (1,8 Mill. Rubel), Flachs (18,5 Mill. Rubel), Holz (15,4 Mill. Rubel), ferner Leinsaat, Hanf, H�ute und Felle. In der Einfuhr (Spezialhandel) standen 1903 an erster Stelle Tee (14,6 Mill. Rubel), Rohbaumwolle (7,9 Mill. Rubel), Heringe, Gummi und Kautschuk, Jute, Steinkohlen, Korkholz, Metalle und Maschinen, Farben und k�nstliche Dungmittel. Der Schiffsverkehr ergab 1903 im Eingang 3499 Schiffe mit 1,311,433 Reg.-Ton., wovon aus dem Ausland 1714 Schiffe[932] mit 1,091,226 Reg.-Ton. (davon 304 Schiffe mit 143,601 Reg.-Ton. unter russischer Flagge); im Ausgang 3519 Schiffe mit 1,326,977 Reg.-Ton., von denen 1715 mit 1,116,551 Reg.-Ton. ins Ausland bestimmt waren. R. steht mit Stettin, L�beck, Bremen, Hamburg, K�ln a. Rh., Stockholm, Kopenhagen, Rotterdam, Antwerpen, Rouen, Hull, Leith, Dundee sowie mit St. Petersburg, Libau, Odessa und andern russischen H�fen in regelm��iger Dampferverbindung. Den Interessen des Handels dienen ein Zollamt erster Klasse, ein Elevator, eine K�hlhalle f�r Butter, Wild und Gefl�gel; auch hat R. ein ansehnliches eignes Reedereigesch�ft. Die haupts�chlichsten Banken sind: das Kontor der Reichsbank, die Rigaer B�rsenbank, die Rigaer Kommerzbank, die Stadtdiskontobank, 3 Banken f�r gegenseitigen Kredit. Von Unterrichtsanstalten bestanden in R. 1904: ein Polytechnikum (mit sechs Fakult�ten, darunter solchen f�r Ackerbau und Handelswissenschaften), 4 Gymnasien f�r Knaben und 2 f�r M�dchen, 2 Realschulen, ein geistliches Seminar und eine griechisch-orthodoxe Pfarrschule, ein Lehrerseminar, eine Navigations-, eine Handwerkerschule und eine Taubstummenanstalt; ferner eine Stadtbibliothek und 3 andre �ffentliche Bibliotheken, das Dommuseum (Museen der Gesellschaft f�r Geschichte und Altertumskunde der Ostseeprovinzen und des Naturforschervereins), eine st�dtische und 2 andre Gem�ldegalerien, 8 �ffentliche Krankenanstalten. An Zeitschriften erschienen 1904: 56, davon 20 in deutscher (darunter 3 Tageszeitungen), 15 in lettischer, eine in esthnischer und 20 in russischer Sprache. Die Zahl der Einrichtungen und Vereine f�r Wissenschaft, Kunst und Geselligkeit ist sehr bedeutend. R. hat eine elektrische Stra�enbahn und zahlreiche Dampferlinien auf der D�na, welche die Verbindung mit den Vororten aufrecht erhalten. In fr�herer Zeit (bis 1856) Festung ersten Ranges, ist R. Sitz des livl�ndischen Gouverneurs, des 20. Armeekorpskommandos, des griechisch-orthodoxen Erzbischofs von R. und Mitau, des Kurators des Rigaischen Lehrbezirks, mehrerer Konsuln (darunter eines deutschen Generalkonsuls). Seit 1878 ist die st�dtische Verwaltung dem Rat entzogen und die russische St�dteordnung (mit Stadtamt und Stadtverordnetenversammlung) eingef�hrt. 1889 bei Einf�hrung der russischen Gerichtsverfassung l�ste sich der Rat auf. – R. wurde 1201 von Albrecht I. von Buxh�wden, Bischof von R., gegr�ndet, der 1202 seinen Sitz hierher verlegte. 1253 erhob Papst Innozenz IV. R. zum Sitz eines Erzbistums. R. bl�hte rasch auf und war eine wichtige Hansestadt. Es spielte in den K�mpfen zwischen dem Deutschorden und dem Erzbischof oft eine entscheidende Rolle. Die Reformation fand schon 1522 durch Kn�pken, Bugenhagens Freund, in R. Eingang, doch das Erzbistum wurde erst 1566 aufgehoben. Als Livland 1561 polnische Provinz wurde, erhielt sich R. noch bis 1582 in bedingter Unabh�ngigkeit. Mit dem neuen Kalender versuchte Stephan Bathori den Jesuiten Eingang in die Stadt zu verschaffen, nicht ohne Erfolg. 1621 wurde R. von Gustav Adolf erobert und von den Jesuiten befreit. 1656 wurde R. von den Russen vergeblich belagert, desgleichen 1700 von den Sachsen dank der tapfern Verteidigung durch den schwedischen Statthalter Dahlberg. Doch 4. Juli 1710, nach der Niederlage Karls XII. bei Poltawa, ergab sich die Stadt nach hartn�ckiger Verteidigung dem Feldmarschall Scheremetjew und kam unter russische Botm��igkeit. 1812 wurde R. von den Preu�en unter Graevert bedroht, die Vorst�dte wurden vom Kommandanten v. Essen verbrannt; 1814 richtete der Eisgang gro�en Schaden an. �berhaupt ist die �u�ere Stadt infolge ihrer niedrigen Lage �berschwemmungen ausgesetzt. Im Fr�hjahr 1854 wurde R. von den Engl�ndern blockiert; 1856 fielen die Festungswerke, und es entstanden an ihrer Stelle sch�ne Boulevards und Anlagen. 1889 wurde die russische Sprache in Gericht, Verwaltung und Schule gewaltsam eingef�hrt, die 700j�hrige Verfassung war schon 1878 durch die russische St�dteordnung ersetzt. Seitdem hat Handel und Industrie stark zugenommen, das h�here und niedere Schulwesen ist aber durch die Russifizierung fast bis zur Vernichtung gesch�digt. Immer st�rker breitete sich durch russische Beamte, Polytechniker und Arbeiter der fr�her dort unbekannte Nihilismus aus, bis im Laufe des Jahres 1905 die Regierung alle Autorit�t einb��te. Auch der Kriegszustand minderte die Unsicherheit von Person und Eigentum erst 1906. Vgl. Bunge, Die Stadt R. im 13. und 14. Jahrhundert (Leipz. 1878); A. v. Bulmerincq, Der Ursprung der Stadtverfassung Rigas (das. 1894) und Die Verfassung der Stadt R. im ersten Jahrhundert der Stadt (das. 1898); Mettig, Geschichte der Stadt R. (Riga 1897) und Illustrierter F�hrer durch R. (6. Aufl., das. 1906); W. Neumann, Das mittelalterliche R. (mit 26 Tafeln, Berl. 1892); Tobien, Ergebnisse der Rigaer Handelsstatistik 1866–1891 (Riga 1893) und 1891–1898 (das. 1900) und Das Armenwesen der Stadt R. (das. 1895); Carlberg, Der Stadt R. Verwaltung und Haushalt 1878–1900 (das. 1901); »F�hrer durch das industrielle R.« (das. 1901); »R. und seine Bauten« (das. 1903); Buchholtz und Bulmerincq, Aktenst�cke und Urkunden zur Geschichte der Stadt R. 1710–1740 (das. 1902 bis 1906, 3 Bde.).

Quelle:
Meyers Gro�es Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 931-933.
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