Koalition

[196] Koalition (lat.), Verbindung, Verb�ndung, namentlich im politischen Leben die Verbindung einzelner Parteien oder einzelner Staaten miteinander zu einem bestimmten Zweck (vgl. Allianz); daher Koalitionsministerium, eine aus F�hrern mehrerer Parteien zusammengesetztes Ministerium. – Von besonderer Wichtigkeit ist das Koalitionsrecht, d. h. das Recht der freien Vereinigung, der Lohnarbeiter zur Besserung ihrer Lage, namentlich der Bedingungen ihrer Arbeitsvertr�ge. Die gesetzliche Anerkennnug dieses Rechts kann nach allgemeinen Rechtsgrunds�tzen nur f�r die erwachsenen m�nnlichen Arbeiter in Frage kommen. F�r diese ergibt sie sich als ein nat�rliches Recht schon aus dem Wesen des Rechtsstaates. Aus dem Grundprinzip desselben, der Freiheit und Rechtsgleichheit der Person, folgt, da� der Einzelne seine [196] Kraft benutzen k�nne, um seine Lage zu verbessern, soweit er nicht erworbene Rechte Dritter verletzt oder das Gesamtwohl sch�digt. Wie nun keine Verletzung der Rechte Dritter und keine Sch�digung des Gesamtwohls in dem Streben des einzelnen Arbeiters liegt, seinen niedrigen Lohn zu erh�hen, eine inhumane Arbeitszeit, eine gesundheitssch�dliche Arbeitsart oder sein Interesse sonst sch�digende Bestimmungen des Arbeitsvertrags, resp. der Arbeits- (Fabrik-) Ordnung zu beseitigen, so ist dies ebensowenig an sich der Fall, wenn der Arbeiter sich in diesem Streben mit andern verbindet. Die Gew�hrung jenes Rechts ist aber in der modernen Volkswirtschaft auch durch sozialpolitische Gr�nde geboten. Der einzelne Lohnarbeiter steht hier dem gro�en Unternehmer bei Feststellung der Arbeitsbedingungen in sehr ungleicher Lage gegen�ber. Dieser setzt die Arbeitsbedingungen fest, der einzelne Arbeiter hat meist nur die Wahl, ob er dieselben annehmen will oder nicht, und hat infolge seiner Armut in der Regel nicht einmal die Freiheit der Wahl; die wirtschaftliche �bermacht des Unternehmers bringt ihm eine Reihe von Nachteilen. Erst die Vereinigung mit andern beseitigt f�r die Arbeiter diese ung�nstige Lage und erm�glicht es ihnen, ihre berechtigten Anspr�che dem Arbeitgeber gegen�ber durchzusetzen, sie erst macht die rechtliche Freiheit und Gleichberechtigung der Arbeiter beim Abschlu� des Arbeitsvertrages auch zu einer wirklichen. Es kommt hinzu, da� die gesetzliche Anerkennung des Koalitionsrechts als Vereins- und Agitationsfreiheit die f�r eine friedlich soziale Reform unentbehrliche Organisation von Arbeiterverb�nden (s. Gewerkvereine) erm�glicht. Die Vereins- und Agitationsfreiheit darf aber keine unbedingte sein. Wird das Koalitionsrecht angewendet zu einer gemeinsamen Arbeitseinstellung (Streik), so darf diese an sich berechtigte Freiheit nicht so weit gehen, da� streikende Arbeiter auf Widerstrebende einen Zwang (durch Drohung, Ehrverletzung, Verrufserkl�rung, Mi�handlung, Sachbesch�digung etc.), sich ihnen anzuschlie�en, resp. von der gemeinsamen Verabredung zur�ckzutreten, aus�ben d�rfen. Dies mu� als widerrechtliche Freiheitsbeschr�nkung Dritter verboten und bestraft werden. Und ferner darf die K. der Arbeiter nicht den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezwecken, noch in gemeingef�hrlicher Weise den �ffentlichen Frieden st�ren.

Das Koalitionsrecht ist erst in neuerer Zeit zu einem Rechte des Arbeiterstandes geworden; die vorerw�hnten Schranken sind �berall gezogen. Fr�her war in allen Staaten die K. verboten und strafbar. Die Aufhebung der Koalitionsverbote erfolgte zuerst in England (Gesetz vom 21. Juni 1824, Gesetz vom 6. Juli 1825), es wurde aber damals noch aus sicherheitspolizeilichen R�cksichten eine Strafbarkeit der K. beibehalten. Diese Schranke wurde 1859 (Gesetz vom 19. April 1859) beseitigt und das Koalitionsrecht weiter geregelt durch die beiden Gesetze vom 29. Juni 1871 (betreffend die Trades' Unions und The Criminal Law Amendment) und durch das Verschw�rungs- und Verm�gensschutzgesetz vom 15. Aug. 1875. In den andern Staaten wurde das Koalitionsrecht gew�hrt: in Frankreich 1864 (Gesetz vom 25. Mai; es blieb aber noch das Assoziationsverbot bestehen, bis das Gesetz vom 21. M�rz 1884 auch dieses aufhob), in Belgien 1866 (Gesetz vom 31. Mai), in Holland 1872 (Gesetz vom 12. April). In �sterreich ist 1870 (Gesetz vom 7. April) das Koalitionsrecht gew�hrleistet worden, doch werden �bertretungen desselben (Mittel der Einsch�chterung oder Gewalt gegen�ber den an der Vereinigung nicht teilnehmenden Arbeitern) mit Arrest von acht Tagen bis drei Monaten bestraft. In Deutschland war das Koalitionsrecht in einzelnen Staaten schon im Anfang der 1860er Jahre, in den meisten ist es erst mit der Gewerbeordnung von 1869 (� 152) eingef�hrt worden. Doch ist nach � 153 verboten, durch k�rperlichen Zwang, Drohungen, Ehrverletzung oder Verrufserkl�rung andre zum Beitritt zu Koalitionen zu zwingen oder durch die gleichen Mittel am Beitritt zu hindern oder zum Austritt aus Koalitionen zu zwingen, hiernach also der Zwang zur Teilnahme an einer Verabredung (nicht die Hinderung) sowie die Hinderung des R�cktrittes von einer Verabredung (nicht seine Erzwingung) als ein besonderer Fall der N�tigung (s. d.) unter Strafe gestellt. In Italien ist, ausgenommen in Toskana, die K. zum Zweck der Lohnerh�hung nach dem Code p�nal, Art. 385–389, noch heute strafbar, im �brigen herrscht v�llige Assoziationsfreiheit. Vgl. L�wenfeld, Kontraktbruch und Koalitionsverbot (im »Archiv f�r soziale Gesetzgebung«, Bd. 3, S. 383 ff.); Oldenberg, �ber den Einflu� des Verkehrs auf die Koalitionsgesetzgebung (im »Jahrbuch f�r Gesetzgebung«, 1891); van der Borght, Die Weiterbildung des Koalitionsrechtes der gewerblichen Arbeiter in Deutschland (Berl. 1899); Kulemann, Das deutsche Vereins- und Versammlungsrecht (im »Archiv f�r soziale Gesetzgebung«, Bd. 10, S. 815); Legien, Das Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter in Theorie und Praxis (Hamb. 1899); L�ning, Das Vereins- und Koalitionsrecht der deutschen Arbeiter (in den »Schriften des Vereins f�r Sozialpolitik«, Bd. 76, S. 275, Leipz. 1898); Stieda, K. und Koalitionsverbote (im »Handw�rterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 5, Jena 1900); Goldschmidt, Das Koalitionsrecht der Arbeiter (in den »Annalen des Deutschen Reichs«, 1901, S. 322,431,536); T�nnies, Vereins- und Versammlungsrecht wider die Koalitionsfreiheit (in den »Schriften der Gesellschaft f�r soziale Reform«, Jena 1902); Br�tt, Das Koalitionsrecht der Arbeiter in Deutschland und seine Reformbed�rftigkeit (Abhandlungen des kriminalistischen Seminars der Universit�t Berlin, 1903); Colliez, Les coalitions industrielles et commerciales d'aujourd'hui (Par. 1904).

Quelle:
Meyers Gro�es Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 196-197.
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