[770] Getreidez�lle (Agrarz�lle), Z�lle, die bei Ausfuhr oder Einfuhr von Getreide erhoben werden. Im Mittelalter herrschte meist das Bestreben, das im Inland erzeugte Getreide auch diesem zu erhalten. Deswegen wurde vielfach auch bei guten Ernten die Ausfuhr verboten. Auch den merkantilistischen Anschauungen entsprach jenes Bestreben. Getreide als unentbehrliches Lebensmittel der Arbeiter sollte nicht zu teuer werden. Darum sollte die Ausfuhr durch Z�lle erschwert oder auch wohl durch Verbot verhindert werden, w�hrend die Einfuhr freizulassen war. Wo etwa Einfuhrz�lle vorkamen, hatten sie vorwiegend einen fiskalischen Zweck. In der sp�tern Zeit des Merkantilsystems, vorher auch schon in England, war man bem�ht, dem Land eine normale H�he des Getreidepreises zu sichern. Bei niedrigem Preis wurde deshalb die Ausfuhr gestattet, die Einfuhr verboten; bei h�hern Preisen sollten Einfuhrz�lle erhoben werden, die sich mit steigenden Preisen verminderten (Z�lle nach gleiten der Skala, Skalasystem, engl. sliding scale, franz. �chelle mobile). Von einem gewissen Punkt an war die Einfuhr frei, w�hrend die Ausfuhr verboten wurde. Einen echt schutzz�llnerischen Charakter im Interesse der Landwirtschaft erlangten die G. besonders in England und Frankreich mit Beginn des 19. Jahrh. In England hatte man schon im 15. Jahrh. versucht, einen Normalpreis zu sichern. Wenn der Preis eines Quarters Weizen auf 61/3 Schilling gesunken war, sollte die fr�her verboten gewesene Ausfuhr gestattet, die Einfuhr verboten sein. 1670 ward dieser Satz auf 531/3 Schill. bemessen, bei einem h�hern Preis wurde die Einfuhr mit einem Zoll von 8 Schill. belastet, w�hrend sie, wenn der Preis auf 80 Schill. und h�her stand, frei war. Unter Wilhelm III. wurden die Ausfuhrz�lle beseitigt und an ihrer Stelle eine Pr�mie gew�hrt, sobald der Preis nicht �ber 48 Schill. stand. Sp�ter wurde die Pr�mie wieder beseitigt, die Ausfuhr bei jedem Preis gestattet (1814), die Einfuhr erst von einem bestimmten Preis an (1791 bei 54,1804 bei 66,1822 bei 85 Schill.) gegen eine m��ige Abgabe von 1/21 Schill. zugelassen, bei niedrigerm Preis (1791 bei 50,1804 bei 63,1822 bei 70 Schill.) durch einen sehr hohen Zoll (2324 Schill.) erschwert. Bei einem zwischen jenen S�tzen liegenden Preis wurden fr�her 21/2 Schill. Zoll erhoben, 1828 eine konsequente gleitende Skala eingef�hrt, indem der Zoll bei einem Preis von 66 Schill. auf 202/3 Schill. mit der Ma�gabe festgesetzt wurde, da� er um ebensoviel Schilling steigen sollte, als der Preis unter diesen Satz sinken w�rde, w�hrend er in st�rkerm Verh�ltnis fallen sollte, wenn der Preis �ber 66 steigen w�rde, so da� der Zoll bei einem Preise von 73 Schill. sich auf 1 Schill. stellte. Das formelle Einfuhrverbot wurde aufgehoben. Auch der holl�ndische Zoll wurde in jener Zeit nach einer streng gleitenden Skala bemessen, an deren Stelle sp�ter (1847) ein fester Satz trat. Gegen den englischen Getreidezoll k�mpfte mit Erfolg die Anti-Cornlaw-League (s.d.) an. Nachdem 1842 einige Erm��igungen eingetreten waren, wurde 1846 bestimmt, da� der Getreidezoll allm�hlich aufgehoben werden sollte. 1869 kam auch der letzte kleine �berrest (4 Pence f�r den Zentner Weizen) in Wegfall. In Frankreich wurde erst 1819 ein Getreidezoll zum Schutz der Landwirtschaft eingef�hrt. Das Land wurde in drei (1832 in vier) Gruppen zerlegt mit Minimalpreisen von 20, 18 und 16 Frank f�r 1 hl. Sank der Preis unter diese S�tze, so wurde die Einfuhr verboten, w�hrend bei h�hern Preisen ein nach gleitender Skala bemessener Zoll erhoben und die Ausfuhr durch einen Zoll erschwert, bez., wenn der Preis um 4 Fr. �ber jene Grenze gestiegen war, verboten wurde. 1822 verst�rkt, wurde der Schutz 1832 wieder gemildert (Beseitigung der Verbote), bis man dann 1861 feste S�tze einf�hrte, die im Tarif vom 7. Mai 1881 unbetr�chtlich vermindert, 1885 und 1887 erheblich erh�ht, 1891 vor�bergehend herabgesetzt, 1894 wieder auf die fr�here H�he gebracht, f�r Weizen auf 7 Fr. erh�ht wurden. Die G. waren f�r 100 kg in Frank:
Von Roggen und Gerste ist seit 1885 ein Zoll von 1,50 Fr. zu zahlen.
In Deutschland und �sterreich war der Getreidezoll kein eigentlicher Schutzzoll, die S�tze waren hierf�r zu m��ig (z. B. in �sterreich 1853: 20 Kreuzer f�r den Zentner Weizen, 15 Kr. f�r den Zentner Roggen etc.). In den �stlichen Provinzen Preu�ens war der Zoll 1818 f�r 100 kg Weizen 0,44, Roggen 0,16, Gerste 0,18, Hafer 0,125 Mk. etc. Von 1824 ab wurde f�r alle Getreidearten gleichm��ig 0,50 Mk. f�r einen Scheffel (etwa 55 Lit.), 184749 wegen des Notstandes auch ein Ausfuhrzoll von 25 Proz. des Wertes erhoben, 1857 trat eine Erm��igung ein. Der Zoll war f�r 100 kg Weizen und H�lsenfr�chte 0,440,47, Roggen, Gerste und Hafer 0,120,20 Mk. 1865 wurde derselbe ganz beseitigt. Der au�erordentliche Zuflu� amerikanischen Getreides in der zweiten H�lfte der 1870er Jahre, sp�ter auch der Getreide andrer L�nder, das hierdurch bewirkte Sinken der Getreidepreise zusammen mit der allgemeinen wirtschaftlichen Depression jener Zeit lie� in den Kreisen der Landwirte eine lebhafte Agitation f�r Einf�hrung von Schutzz�llen zugunsten der Landwirtschaft entstehen, der auch das Tarifgesetz vom 15. Juli 1879 Rechnung trug. Dieses setzte einen Zoll von 1 Mk. fest f�r 100 kg Weizen, Roggen, Hafer und H�lsenfr�chte sowie nicht besonders genannte Getreidearten, auf Gerste, Mais und Buchweizen 0,50 Mk., auf M�hlenfabrikate aus Getreide und H�lsenfr�chten 2 Mk., welcher Satz bereits 1881 auf 3 Mk. erh�ht wurde. Da die Zolls�tze von 1879 als zu niedrig betrachtet wurden und gleichzeitig der Reichskasse mehr Einnahmen zugef�hrt werden sollten, so wurden sie durch Gesetze vom 22. Mai 1885 und 21. Dez. 1887 erh�ht, dagegen durch die seit 1891 abgeschlossenen Handelsvertr�ge wieder erm��igt. Der Zoll war f�r 100 kg in Mark:
Da die Landwirte sich durch die niedrigern Z�lle, wie sie den Vertragsstaaten einger�umt wurden, neuerdings gesch�digt f�hlten, so setzte eine erneute Agitation ein, um beim Ablauf der Handelsvertr�ge (Ende 1903) und Abschlu� neuer h�here Z�lle zu erreichen. Das neue Zolltarifgesetz vom 25. Dez. 1902 tr�gt diesen W�nschen in weitgehendem Ma�e Rechnung,[770] indem es nicht nur die Zolls�tze wesentlich erh�hte, sondern durch Ausstellung eines Minimaltarifs f�r Getreide und Vieh auch der Regierung die Grenze bezeichnete, unter die beim Abschlu� von Vertr�gen nicht herabgegangen werden d�rfe. Danach stellen sich die G. in Mark:
�sterreich erh�hte 1887 seine Z�lle f�r
Auch Italien erh�hte 1888 und 1894 seine Z�lle. Diese waren f�r
Durch Gesetz vom 21. Febr. 1894 wurden die Z�lle auf Weizen und Weizenmehl auf 7, bez. 11,50 Fr. erh�ht. Die Schweiz, die fr�her keine G. hatte, erhebt seit 1891 f�r Getreide 0,80 Fr., Mehl 2,50 Fr. (vertragsm��ig 2 Fr.).
Spanien hat die seit 1883 bestehenden G. im Tarif von 1892 und durch Zuschlagsz�lle seit 1895 wesentlich erh�ht. Es erhebt zurzeit vom Weizen 8 Fr., anderm Getreide 4,40 Fr., H�lsenfr�chten 5,20 (Konventionaltarif 4,40), Weizenmehl 13,20, Mehl von anderm Getreide 7,15 Fr. In Portugal wird heute noch die Menge des einzuf�hrenden Weizens und der zu entrichtende Zoll allj�hrlich von der Regierung bestimmt; f�r Weizenmehl blieb das beschr�nkte Einfuhrverbot bestehen. Die Zollpolitik war in den letzten Jahrzehnten sehr schwankend. Schweden und Norwegen sind seit 1887 und 1888 zu Getreidez�llen �bergegangen, die 1892 u. 1895 in Schweden erh�ht wurden. Keine G. haben England, die Niederlande, Belgien, Ru�land, die Balkanl�nder, also L�nder mit �berwiegender Einfuhr oder mit starker Ausfuhr. Vgl. Oppenheim, Aus der Geschichte der englischen Kornz�lle (Berl. 1879); Conrad: Die neueste Literatur �ber G. (in den »Jahrb�chern f�r National�konomie und Statistik«, Bd. 33, 1879), Die G. (ebenda, Bd. 34, 1879), Agrarz�lle (in Sch�nbergs »Handbuch der Politischen �konomie«); Schmoller, Die amerikanische Konkurrenz etc. (in dessen »Jahrbuch f�r Gesetzgebung etc.«, 1882) und Analekten und Randglossen zur Debatte �ber Erh�hung der G. (1885); K�hn, Die G. in ihrer Bedeutung f�r den kleinen und mittlern Grundbesitz (Halle 1885); Lexis, Die Wirkung der G. (T�bing. 1889); Paasche, Artikel »G.« im »Handw�rterbuch der Staatswissenschaften«, Bd. 4 (2. Aufl., Jena 1900); Rabe, Vierzig Jahre Brotgetreidebau (Berl. 1901); A. Wagner, Agrar- und Industriestaat (Jena 1901); Diehl, Kornzoll und Sozialreform (das. 1901); Dietzel, Kornzoll und Sozialreform (Berl. 1901); Grabein, Die deutschen G. der Zukunft (das. 1900); Pohle, Deutschland am Scheidewege (Leipz. 1902); »Der deutsche Bauer und die G.« (Jena 1902); Marquard, W�rttemberg und der Brotgetreidezoll (Stuttg. 1902); Brentano, Die G. als Mittel gegen die Not der Landwirte (Berl. 1903); Levy, Die Not der englischen Landwirte zur Zeit der hohen G. (Stuttg. 1903); Berkholz, Die Wirkung der Handelsvertr�ge auf die Landwirtschaft in Elsa�-Lothringen (T�bing. 1903). S. auch Getreidehandel.
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