[489] Baustil (hierzu Tafel »Baustile I und II«), die in den Bauwerken gewisser Zeitperioden und deren Nachbildungen hervortretende Einheit in der r�umlichen Anordnung, in der Art des Baugef�ges und in der Ausbildung der Bauformen und Ornamente im gro�en und kleinen, also die den Bauk�nstlern einer solchen Zeitperiode und ihren Nachahmern gemeinsame Ausdrucksweise. Da die zur Gottesverehrung bestimmten, also dem erhabensten Zwecke gewidmeten Bauwerke dem K�nstler das dankbarste Feld zur Entwicklung der Bauformen darboten, so kn�pfte sich die Entstehung der historischen Baustile an die bauliche Herstellung der Tempel und Gottesh�user und an die Zeitperioden, in denen sie durch die Religion und den religi�sen Kultus in umfangreicher Weise geboten war. Unter den zahlreichen so entstandenen Bauweisen treten in fortschreitender Zeitfolge die �gyptische, die griechische, die etruskische, die r�mische, die altchristliche, die byzantinische, die arabische, die romanische und gotische Bauweise, die Fr�h- und Sp�trenaissance in den kulturgeschichtlichen Vordergrund, worunter wieder der griechische, der romanische und gotische Stil die selbst�ndigsten, am meisten durchgebildeten sind und die Bauformen der Gegenwart teils in reiner, teils in kombinierter Anwendung beherrschen. W�hrend die Grundformen der Baustile in architektonischer Beziehung sich aus einem dem jeweiligen Bed�rfnis entsprechenden Raumplan der Bauwerke und dem Konstruktionsprinzip ihrer Decken und St�tzen entwickelten, erscheinen die zu ihrer Charakteristik wesentlichen Detailformen als die Ergebnisse eines mehr oder minder sein entwickelten Gef�hls f�r die Unterscheidung und Verkn�pfung ihrer einzelnen Glieder sowie der Auswahl und Verarbeitung der zu ihrer k�nstlerischen Vollendung dienenden, der Natur entlehnten Mittel, die zusammengenommen die Hauptmerkmale der genannten Baustile ausmachen. So zeigen der �gyptische und griechische Stil meist rechteckige oder aus Rechtecken zusammengesetzte Planformen und wagerechte, aus Steinbalken bestehende Decken auf steinernen S�ulen (Tafel I, Fig. 16). Besondere Kopf- und Fu�platte, ausgebauchter, am Fu� eingezogener Schaft und kessel- oder kelchf�rmiges, meist mit Lotosbl�ttern und Lotosbl�ten verziertes Kapitell kennzeichnen die �gyptische S�ule (Tafel I, Fig. 1 u. 2), aus der sich die verschiedenen Formen der griechischen S�ule entwickelt haben. Die einfachste Form der �gyptischen S�ule nennt man »protodorisch«, weil man sie f�r das unmittelbare Vorbild der griechisch-dorischen S�ule h�lt. Die griechische S�ule tritt in drei Grundformen auf, die die Hauptmerkmale der dorischen, ionischen und korinthischen Ordnung bilden. N�heres s. Artikel »S�ule« mit Tafel »S�ulenordnungen«. Die etruskische Bauweise (s. Tafel »Architektur IV«) ahmt den Tempelbau der Griechen mit h�lzernem Geb�lk auf steinernen S�ulen nach und wendet daneben und getrennt davon zum erstenmal den Gew�lbebau auf Privatbauten an. Der aus ihr und der griechischen hervorgegangene r�mische B. (s. Tafel »Architektur IV u. V«) benutzt rechteckige, zentrale und aus beiden zusammengesetzte Grundpl�ne und kombiniert den Gew�lbe- und den Architravbau, indem der erstere in Form von Tonnen-, Kuppel- und Kreuzgew�lben (s. Tafel »Architektur IV«, Fig. 12,13 u. 16) die Konstruktion, der letztere als Umrahmung des Bogens die Wandgliederung bildet. Die r�mischen S�ulen erscheinen als Nachbildungen der griechischen und sind h�ufig mit reichen, meist aus Teilen des ionischen und korinthischen Kapitells zusammengesetzten, sogen. Kompositenkapitellen (s. Tafel »Architektur V«, Fig. 10) versehen.
Die im Abendland sich entwickelnde altchristliche Baukunst (s. Tafel »Architektur VI«) bildet die r�mische Halle zur christlichen Kirche aus (n�heres s. Basilika). Die im Morgenland, vorzugsweise in Byzanz, ge�bte byzantinische Baukunst (s. Tafel »Architektur VI«) setzt den r�mischen Kuppelbau �ber kreisf�rmigem, polygonem (s. Tafel »Baustile I«, Fig. 7) oder rechteckigem Grundplan fort, woraus die H�ngekuppel und die an ihre offenen Bogen sich anschlie�enden Halbkuppeln entstehen. Neben der byzantinischen Baukunst gelangte im Morgenland mit der immer weiter um sich greifenden Herrschaft der Araber in allen mohammedanischen L�ndern der arabische B. (s. Tafel »Architektur VII«) zur Geltung, dessen charakteristische Eigent�mlichkeiten in einer eigenartigen Ausbildung des Bogens (Hufeisenbogen, Kielbogen, s. Tafel »Baustile I«, Fig. 9 u. 10), der schlie�lich zu dem von der Gotik als Hauptelement �bernommenen Spitzbogen f�hrte, in der Dekoration der W�lbungen und der �berg�nge zwischen S�ule und Decke mit phantastischen, an Stalaktiten erinnernden Bildungen (Tafel I. Fig. 8) und in einer spielenden, wesentlich linearen Ornamentik liegen, die sich auf alle Bauteile gleichm��ig erstreckt (Tafel I, Fig. 1316). Selbst Bauglieder von wichtiger Funktion, wie z. B. S�ulen, die Bogen tragen (Tafel I. Fig. 11), werden zu einem dekorativen Spiel benutzt, das zu ihrer statischen Bestimmung in Widerspruch steht.
Aus der altchristlichen Baukunst entwickelte sich der romanische B. (s. Tafel »Architektur VIII«), der den rechteckigen Grundplan der altchristlichen Basilika in den des einfachen oder Doppelkreuzes mit halbkreisf�rmigen Apsiden verwandelte und den Unterbau von der flachen Holzdecke mit einzelnen Gurtbogen zu der fast durchweg im Halbkreis gew�lbten Decke �berf�hrte, bei der je zwei meist quadratische Kreuzgew�lbe eines Seitenschiffes einem quadratischen Gew�lbe des Mittelschiffes entsprechen (s. Tafel »Baustile II«, Fig. 1719 u. 23). Die parallelepipedischen Anf�nge der Kreuzgew�lbe vermittelt sie mit den runden S�ulensch�ften durch einen zwischen sie eingeschalteten, unten abgerundeten, mit Deckplatte und Halsring versehenen W�rfel, das sogen. W�rfelkapitell (Tafel II, Fig. 20), und gibt den S�ulensch�ften eine aus zwei W�lsten mit einer zwischenliegenden Hohlkehle und einer quadratischen, oft mit vermittelnden Eckbl�ttern versehenen [489] Unterlagsplatte bestehende Basis (Tafel II, Fig. 27). Die zur k�nstlerischen Vollendung in reichem Ma� angewendeten Mittel sind teils dem Pflanzen- und Tierreich, teils beiden zugleich entlehnt, woraus unter andern die reichen romanischen, meist streng stilisierten Bl�tter-, Tier- und Bilderkapitelle (Tafel II, Fig. 24 u. 25) entstanden sind.
Der gotische B. (s. Tafel »Architektur IX« und »K�lner Dom« bei Artikel »K�ln«) setzt im Grundplan an die Stelle der halbkreisf�rmigen Abschl�sse und Apsiden die polygonalen, acht-, zehn- und mehreckigen und w�hlt einen konstruktiv homogenern Gew�lbeplan, worin nunmehr je ein kleineres, meist quadratisches Kreuzgew�lbe des Seitenschiffes einem l�nglich rechteckigen Kreuzgew�lbe des Mittelschiffes entspricht, deren Gurtbogen und Grate in dem bei gleicher H�he auch auf verschiedene Spannweiten anwendbaren Spitzbogen (s. Tafel »Baustile II«, Fig. 32) �berw�lbt werden. Die Strebepfeiler treten an die Au�enseiten der Umfangswand und setzen sich z. T. �ber den D�chern der Seitenschiffe als freie Strebebogen bis zu den Strebepfeilern des erh�hten Mittelschiffes fort (Tafel II, Fig. 28). Auch die Fenster- und T�r�ffnungen werden fast durchweg mit dem Spitzbogen �berdeckt und erstere mit meist aus geometrischen Motiven bestehendem Ma�werk versehen (Tafel II, Fig. 2931). Die Gliederungen, Kapitelle und Basen der meist gegliederten Pfeilersch�fte erhalten mehr geometrische, mit Lineal und Zirkel beschriebene Profile (Tafel II, Fig. 35 u. 36), dagegen das zum Schmuck der Kapitelle verwendete Laub- und Pflanzenwerk (Tafel II, Fig. 33 u. 34) und die ebenfalls zu ornamentalen Zwecken dienenden Tierfiguren einen freiern naturalistischen Charakter.
Die Renaissance (s. Tafel »Architektur X u. XI«) greift zu den Formen und Konstruktionen des griechischen und vorzugsweise r�mischen Stiles (s. Tafel »Baustile II«, Fig. 38 u. 39) zur�ck und pa�t sie den modernen Bed�rfnissen, insbes. auch des Privatbaues, an. Sie wendet die gerade und rund bogige �berdeckung oder auch beide zugleich an. Im Kirchenbau kommt auch die Kuppel (Tafel II, Fig. 40) zur Verwendung, mit der alsdann au�er andern auch byzantinische Formen verbunden werden. Auf die sogen. Fr�hrenaissance folgt die Hochrenaissance als die Epoche der h�chsten Bl�te, aus der sich die Sp�trenaissance entwickelt, deren Ausl�ufer Barock-, Rokoko- und Zopfstil sind (s. Tafel »Architektur XII«). Die Gegenwart hat zu den Formen der klassischen, mittelalterlichen und Renaissancestile zur�ckgegriffen und wendet deren Planformen, Konstruktionen und Details teils rein, teils kombiniert an, bevorzugt jedoch den zur L�sung der verschiedenartigsten, die fr�hern an Dimension �bertreffenden Aufgaben des Profanbaues besonders geeigneten Renaissancestil, w�hrend die mittelalterlichen Stile im Kirchenbau vorherrschen. Durch den Eisenbau hat die Architektur der Gegenwart ein neues Konstruktionselement erhalten, das ihr bereits einen individuellen Charakter ausdr�ckt und ihr vielleicht zu einem neuen, selbst�ndigen Stile verhelfen wird, auf dessen Gewinnung zahlreiche Architekten in allen Hauptst�dten Europas hinarbeiten, weil sie der Meinung sind, da� die historischen Stilarten keine freie Bewegung gestatten und unsre Zeit nach dem Ausdruck ihres Geistes in der Architektur verlangt. Au�er den vorgenannten Baustilen haben sich einzelne Bauweisen entwickelt, die als Vermittelungsglieder anzusehen sind, worunter insbes. der zwischen dem romanischen und gotischen Stil entwickelte den Namen des �bergangsstils erhalten hat, bei dem sich der Rund- und Spitzbogen oft gleichzeitig angewendet findet. Ferner haben die genannten Hauptbaustile nach dem Charakter der L�nder, worin sie sich entwickelt haben, eine verschiedene Ausbildung erfahren, z. B. der gotische Stil, bei dem man einen deutsch-, franz�sisch-, englisch- und italienisch-gotischen Stil unterscheidet. Ausf�hrliche Charakteristik der Baustile und ihrer geschichtlichen Entwickelung enth�lt der Artikel »Architektur« (s. d.).
Vgl. Rosengarten, Die architektonischen Stilarten (3. Aufl., Braunschw. 1874); L�bke, Abri� der Geschichte der Baustile (4. Aufl., Leipz. 1878); v. Sacken, Katechismus der Baustile (14. Aufl., das. 1901); Durm u. a., Handbuch der Architektur, 2 Abt.: Die B., in 7 B�nden (Darmst. u. Stuttg. 18801902, z. T. in 2. Aufl.). Aus der reichen Literatur �ber die einzelnen Baustile sind au�er den beim Artikel »Architektur« zitierten Werken noch hervorzuheben: Krell, Geschichte des dorischen Stils (Stuttg. 1870); Chipiez, Histoire critique des origines et de la formation des ordres grecs (Par. 1876); Hauser, Stillehre der architektonischen Formen (3 Bde. in 3. und 2. Aufl., Wien 189199); Uhde, Die Architekturformen des klassischen Altertums (Berl. 1896).
Brockhaus-1911: Norm�nnischer Baustil · Gotischer Baustil
Goetzinger-1885: Gotischer Baustil · Byzantinischer Baustil
Lueger-1904: Baustil · Altdeutscher Baustil
Meyers-1905: Ionischer Baustil · Griechischer Baustil · Romanischer Baustil · Norm�nnischer Baustil · Dorischer Baustil · Byzantinischer Baustil · Gotischer Baustil · Fr�henglischer Baustil
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