[424] Ged�chtnis ist der Inbegriff der subjektiven Bedingungen, welche die Reproduktion (s.d.), d. h. die Wiederholung, Wiedererneuerung fr�her gehabter Wahrnehmungen und Vorstellungen im Bewu�tsein, also die Erinnerung (s.d.) m�glich machen. W�re das G. nicht vorhanden, so w�rde unser Seelenleben sich in eine Reihe zusammenhangsloser Zust�nde aufl�sen; es k�nnte weder ein einheitliches, sich in allen sukzessiven Erlebnissen als identisch f�hlendes Selbstbewu�tsein, noch auch ein Denken geben. Denn das Selbstbewu�tsein setzt voraus, da� in der Seele jeweilig nicht nur die momentanen Eindr�cke, sondern auch die vergangenen lebendig und wirksam sind; das Denken erfordert, da� wir am Ende einer Schlu�reihe uns der Anfangsglieder noch bewu�t sind. Daraus erhellt, da� das G. die Grundbedingung alles h�hern seelischen Lebens �berhaupt ist, und da� seine Erkl�rung das tiefste Problem der Psychologie darstellt. Eine solche Erkl�rung findet sich schon bei Platon, der das Zur�ckbleiben der »Erinnerungsbilder« in der Seele nach Analogie des im Wachs zur�ckbleibenden Siegelabdrucks auffa�t. �hnlich nahm auch Descartes »Spuren im Gehirn« als Grundlage des Ged�chtnisses an. Doch betonte schon A. v. Haller die Unhaltbarkeit derartiger Anschauungen, welche die einzelnen Erinnerungsbilder im Gehirn lokalisieren. Herbart kehrte das Problem vollst�ndig um, indem er annahm, da� jede einmal entstandene Vorstellung, wenn f�r sich allein vorhanden, dauernd im Bewu�tsein existieren w�rde, da� also nicht sowohl das Wiedereintreten fr�herer Vorstellungen in das Bewu�tsein, als vielmehr deren Verschwinden aus dem letztern, somit das zeitweilige oder vollst�ndige Vergessen zu erkl�ren sei. Die neuere Psychologie ist zu der physiologischen Erkl�rungsweise im Prinzip zur�ckgekehrt, nur stellt sie sich die Sache nicht so vor, als ob jede einzelne, dem G. einverleibte Vorstellung eine Spur in der Gehirnmasse zur�cklasse, sondern so, da� durch �ftere Wiederholung derselben Vorstellungst�tigkeit eine Disposition zu ihrer immer leichtern Ausf�hrung sich ausbildet. Das G. erscheint so als eine besondere Form der allgemeinern Erscheinung der �bung (s.d.). Die �u�ern Bedingungen, von denen das G. abh�ngt, sind in neuerer Zeit auf experimentellem Wege genauer untersucht worden, wobei man zugleich zu einer sch�rfern Fassung der auf spezifischer Veranlagung beruhenden individuellen Unterschiede der Ged�chtnisfunktion gelangt ist. So unterscheidet man z. B. in bezug auf die Sprache ein akustisches und ein visuelles G., je nachdem der Wort laut oder das Wortbild im G. haftet, im weitern Sinne spricht man von einem Namen-, Zahlen-, Ortsged�chtnis etc.
Die Vorz�ge eines guten Ged�chtnisses bestehen in der Leichtigkeit der Auffassung, die zur Aneignung des zu Behaltenden keiner �ftern Wiederholung noch k�nstlicher Mittel bedarf; in der Zuverl�ssigkeit, d. h. in der Treue unver�nderten Wiedergebens der Vorstellungen; in der Dauerhaftigkeit, durch die das Gemerkte auch f�r l�ngere Zeit gesichert wird; endlich in der Dienstbarkeit, verm�ge deren das G. auf Verlangen des Willens und ohne langes Besinnen das Gew�nschte reproduziert. Beispiele von ausgezeichnetem G. sind: Themistokles, der die Namen von 20,000 athenischen B�rgern kannte; Scaliger, der den Homer in 21 Tagen auswendig lernte; Mezzofanti, der 58 Sprachen verstand; Leibniz und Euler. welche die »ï¿½neide«, Hugo Grotius, der das ganze Corpus juris im Kopfe hatte; Wallis und Dase, die lange Zahlenreihen nach einmaligem Ansehen oder Anh�ren zu merken imstande waren. Doch ist zu bemerken, da� ein gutes G. nicht immer auf eine hervorragende geistige Begabung deutet, vielmehr hat man in manchen F�llen beobachtet, da� die Ausbildung des Ged�chtnisses und die der Denkkraft im umgekehrten Verh�ltnis zueinander stehen; einen Wert f�r das Erkennen und Urteilen kann �berhaupt nur das logische G. haben, das Vorstellungen und Gedanken in sachlich geordnetem Zusammenhange beh�lt und reproduziert, und nicht das blo� mechanische, das (wie beim auswendig Gelernten) sie nur in einer einmal einge�bten, rein �u�erlichen Verbindung zu wiederholen gestattet. Anweisung zur Erleichterung der ged�chtnism��igen Auffassung gibt die Mnemotechnik, Mnemonik oder Ged�chtniskunst (s.d.). Amnesie hei�t die teilweise oder vollst�ndige. zeitweilige oder dauernde Aufhebung des Ged�chtnisses, die bei gewissen Gehirnerkrankungen und im Alter zu beobachten ist und in der Regel zuerst das Wortged�chtnis ergreift (s. Ged�chtnisschw�che). Vgl. I. Huber, Das G. (M�nch. 1878); E. Hering, �ber das G. als eine allgemeine Funktion der lebenden Materie (Wien 1870); Ribot, Das G. und seine St�rungen (deutsch, Hamb. 1882); Forel, Das G. und seine Abnormit�ten (Z�r. 1885); Ebbinghaus, Das G., Untersuchungen zur experimentellen Psychologie (Leipz. 1885); Fauth, Das G. (Berl. 1898); G. E. M�ller und Pilzecker, Experimentelle Beitr�ge zur Lehre vom G. (das. 1900).