[433] Phantasie (gr. phantasia = Darstellung, Erscheinung, Vorstellung, Vorstellungskraft) oder Einbildungskraft hei�t das Verm�gen unseres Geistes, Anschauungen in freier Weise zu reproduzieren, sie apperzeptiv mit Vorstellungen zu verbinden und nach einem bestimmten Plane umzugestalten. Sie wirkt mehr bewu�t oder mehr unbewu�t, mehr passiv oder mehr aktiv, ist an die Anschauung von Raum und Zeit wie auch an die wirkliche Welt als an ihre Quelle gebunden und wird sowohl durch sensible Reize, als auch durch lebhafte Gef�hle und fesselnde Gedanken besonders erregt. Ihr Einflu� l��t sich auf physischem, physiologischem, logischem, �sthetischem und ethischem Gebiet verfolgen. Ihre Kraft ist auf allen diesen Gebieten sch�pferisch. Vom logischen Denken ist die Phantasiet�tigkeit durch ihre sinnliche Lebendigkeit unterschieden, und Wundt nennt sie daher in » Denken in Bildern « (Grundz. der phys. Psychol. II, S. 397ff.). – Zun�chst beeinflu�t sie unser Leibesleben ; ansteckende Krankheit, Nervosit�t und Ekstase k�nnen vereinzelt durch die Phantasie �bertragen werden; unsere Sinne empfangen oft durch sie t�uschende Reize. Der Hungernde schmeckt die vorgestellte Speise, der Furchtsame sieht und h�rt den R�uber, der Verfolgte[433] f�hlt die Faust des Verfolgers. Illusion, Vision, Halluzination sind zum Teil das Werk der Phantasie, ebenso das Traumleben, der Somnambulismus und die Psychose. Auch die Wissenschaft steht unter ihrem Einflu�, und die Philosophie, soweit sie sch�pferisch ist und eine Weltanschauung konstruiert, bedarf ihrer. Es ist kein gr��eres System ohne die Phantasiet�tigkeit aufgestellt, auch keine wichtigere Erfindung ohne sie gemacht worden. Auf ethischem Gebiete schafft sie die Ideale, welche zum Handeln begeistern, verst�rkt sie die Macht des Beispiels und bef�rdert sie die Freiheit der Wahl. Die Kunst verdankt ihr fast alles. Auch die Religion, welcher die Kunst vielfach verwandt ist, bedarf ihrer, wie die Geschichte der Religion bezeugt. So erweist sich die Phantasie als eine sch�pferische Grundkraft der Seele, die, passiv, best�ndig in uns wirksam ist und die logische T�tigkeit vorbereitet, begleitet und unterst�tzt, aktiv, die verstecktere und nicht unter Regeln und Gesetze zu bringende Schaffensweise des menschlichen Geistes bildet.
Aristoteles versetzt die Phantasie zwischen die Wahrnehmung (aisth�sis) und das Denken (dianoia, no�sis) (De an. III, 3, p. 427 b 14) und sieht in ihr eine psychische Nachwirkung der Empfindung, eine abgeschw�chte Empfindung (aisth�sis tis asthen�s), die sich auf Vergangenheit und Zukunft bezieht (Rhet. 1, II, p. 1370 a 28). Die Stoiker unterscheiden zwischen dem Bewu�tsein der Affektion (phantasia d.h. pathos en t� psych� genomenon) und dem Objekte, der Ursache derselben, (phantaston, to poioun t�n phantasian), der blo�en Einbildung, der nichts zugrunde liegt (phantastikon) und demjenigen, was solche Einbildung in Tr�umen veranla�t (phantasma). Augustinus (353-430) kennt drei Arten der Phantasie: die reproduktive, produktive und synthetische (Ep. ad Nebrid. 62). Die Phantasievorstellungen geh�ren bei Descartes (1596-1650) zu den von dem Menschen selbst gebildeten (factae). Die neuere Philosophie hat sich nur wenig mit diesem h�chst wichtigen Seelenverm�gen besch�ftigt. Erst Kant (1724-1804) tat es, indem er die Einbildungskraft zwischen Sinnlichkeit und Verstand einschob (Kr. d. r. Vernunft, S. 137 ff.); sie hat den Stoff, den jene herbeischafft, synthetisch zur Einheit zu bringen. Auf ihr beruht der Schematismus der reinen Vernunft (s. d.). J. Frohschammer (1821-1893) bezeichnet die Phantasie als das sch�pferische Weltprinzip (Die Phantasie als Grundprinzip des Weltprozesses, M�nchen 1877); �hnlich, wenn auch mehr nur[434] auf die organische Welt beschr�nkt, fa�ten sie Krause, J. H. Fichte und Ulrici auf.
Man unterscheidet determinierende, abstrahierende und kombinierende Phantasie; doch sind diese Unterscheidungen mehr k�nstliche als nat�rliche, da sich bei jedem Vorgange mehr oder weniger alle Seiten der Phantasie zeigen. Die Einbildungskraft ist auch die Hauptquelle des Irrtums, vgl. Sinnest�uschungen. Vgl. H. Cohen, Die dichterische Phantasie und der Mechanismus des Bewu�tseins. Berlin 1869. H. Sibeck, Das Wesen der �sthet. Anschauung. Berlin 1875. S. Rubinstein, Psychologisch-�sthet. Essays. Heidelberg 1878. J. Frohschammer, Bedeutung der Einbildungskraft in der Philosophie Kants und Spinozas. M�nchen 1879.