[838] Zufall (tych�, automaton, casus) ist 1) das Walten unbeabsichtigter, unvorhergesehener Ereignisse, 2) das Zusammentreffen zweier Ereignisse, das einer Berechnung nicht zug�nglich ist, so aber, da� sowohl jedes der Vorg�nge Wirkung einer Causalreihe, als auch das Zusammentreffen beider Causalreihen im Weltzusammenhang an sich begr�ndet sein mu�. Das Zuf�llige (s. Accidens, Contingenz) in diesem Sinne ist das f�r uns nicht gesetzlich Bestimmbare, nicht zur Allgemeinheit und Notwendigkeit des Gesetzes Erhebbare. Eine gro�e Rolle spielt der »Zufall«, bedingt durch das Zusammentreffen von Causalreihen sowie durch die Individualit�ten, in der Geschichte.
Nach ARISTOTELES ist tych� die Ursache von allem, was aus einer beabsichtigten Handlung unbeabsichtigt entsteht: h� tych� aitia kata symbeb�kos en tois kata proairesin heneka tou (Phys. II, 5. vgl. II, 6: to automaton kai h� tych�, aitia h�n an � nous genoito aitios � physis, hotan kata symbeb�kos aition ti gen�tai tout�n aut�n). Die tych� bezieht sich auf die prakta (l. c. II 6, 197 b 3), das automaton hingegen gilt f�r das Geschehen �berhaupt (l. c. II 6, 197 b 19 squ.). Das logisch Zuf�llige, Accidentielle (s. d.) ist das nur im einzelnen, nicht begrifflich-allgemein Bestehende. Da� der Zufall nur ein Ausdruck[838] f�r unsere Unkenntnis der Ursachen sei (h�min men automaton, aitia d' ouk automaton: HIPPOKRATES?), betonen die Stoiker (Plac. philos. I, 29. vgl. Aristot., Phys. II, 4. Stob. Ecl, I 6, 218). Einen Zufall anerkennen die Epikureer (s. Atom. vgl. LUCREZ, De rer. nat. II, 216 squ.). – Nach BO�THIUS besteht der Zufall blo� darin, »da� durch eine auf ein bestimmtes Ziel gerichtete T�tigkeit ein ganz unerwarteter, durch verschiedene selbst�ndig zusammentreffende Ursachen bewirkter Effect erzielt wird« (De consol. philos. V).
�hnlich die Scholastiker. Nach THOMAS ist »contingens«, »quod potest esse et non esse« (Sum. th. I, 86, 3 c). Auf den absoluten Willen Gottes f�hrt den Zufall DUNS SCOTUS zur�ck.
Nach G. PLETHON beruht das Zuf�llige auf dem Zusammentreffen verschiedener Ursachen. Nach CAMPANELLA beruht die Contingenz auf dem Teilhaben der Dinge am »non-ens« und der »impotentia« (Univ. philos. III, 2).
Nach HOBBES beruht der Zufall auf unserer Unkenntnis der Ursachen. So bemerkt auch SPINOZA: »Res aliqua nulla alia de causa contingens dicitur nisi respectu defectus nostrae cognitionis« (Eth. I, prop. XXXIII, schol. 1). Die Vernunft erkennt alles als notwendig (s. d.). »Res singulares voco contingentes, quatenus, dum ad causas, ex quibus produci debent, attendimus, nescimus, an ipsae determinatae sint ad easdem producendum« (Eth. IV, def. III). �hnlich lehrt LEIBNIZ (Theod. II, Anh. II, � 2). HUME erkl�rt �hnlich: »Thongh there be not such a thing as change in the world, our ignorance of the real cause of any event has the same influence on the understanding« (Vgl. Treat. III, sct. 11. vgl. S. 172f., 178f.). DESTUTT DE TRACY bemerkt: »Nous appellons contingens les effets dont nous voyons la cause sans voir l'encha�nement des causes de cette cause« (�l�m. d' id�ol. III, ch. 8, p. 356). – Nach CHR, WOLF ist dasjenige zuf�llig, »davon das Entgegengesetzte auch sein kann, oder dem das Entgegengesetzte nicht widerspricht« (Vern. Ged. I, � 175. vgl. � 663 ff.. Ontolog. � 309 f.). Nach PLATNER ist zuf�llig »alles das, dessen M�glichkeit, nicht aber Wirklichkeit gegr�ndet ist in dem Geschlecht oder Wesen eines Dinges« (Philos. Aphor. 1, � 1005. vgl. FEDER, Log. u. Met. S. 234). Nach MENDELSSOHN nennt man Zufall das Zusammentreffen von »Begebenheiten, die auf- oder nebeneinander folgen, ohne da� die eine die andere unmittelbar hervorgebracht« (Morgenst. I, 11, S. 179 f.. vgl. I, 16, S. 284 ff.). Nach GARVE ist Zufall ein »Zusammenflu� von Ursachen, die wir nicht auseinandersetzen k�nnen« (Samml. ein. Abhandl. I, 131). – KANT bestimmt: »Zuf�llig, im reinen Sinne der Kategorie, ist das, dessen contradictorisches Gegenteil m�glich ist« (Krit. d. rein. Vern. S. 380). Das »Bedingte im Dasein �berhaupt« hei�t zuf�llig (Krit. d. Urt.).
Nach SCHELLING ist das erste Seiende, als nicht determiniert, zugleich »das erste Zuf�llige (Urzufall)« (WW. I 10, 101. vgl. II 2, 153). HEGEL bestimmt die Zuf�lligkeit als die »Einheit von M�glichkeit und Wirklichkeit« (Log. II, 205). Was nicht restlos in den Begriff eingeht, ist das Zuf�llige. »Die Zuf�lligkeit und Bestimmbarkeit von au�en hat in der Sph�re der Natur ihr Recht.« »Es ist die Ohnmacht der Natur, die Begriffsbestimmungen nur abstract zu erhalten und die Ausf�hrung des Besondern �u�erer Bestimmbarkeit auszusetzen« (Naturphilos. S. 36 f.. vgl. K. FISCHER, Log. u. Met.2, S. 387). Nach BOLZANO ist zuf�llig ein Gegenstand, wenn er ist, ohne doch notwendig zu sein (Wissenschaftslehre II, � 182, S. 230). Vgl. K. ROSENKRANZ, Wissensch. d. log. Idee I, 439.[839]
Nach J. ST. MILL besteht der Zufall im der nicht gesetzlich bestimmten Verbindung zweier Causalreihen (Log. II, 55). SCHOPENHAUER erkl�rt: »Das contradictorische Gegenteil, d.h. die Verneinung der Notwendigkeit, ist die Zuf�lligkeit. Der Inhalt dieses Begriffs ist daher negativ, n�mlich weiter nichts als dieses: Mangel der durch den Satz vom Grunde ausgedr�ckten Verbindung. Folglich ist auch das Zuf�llige immer nur relativ. n�mlich in Beziehung auf etwas, das nicht sein Grund ist, ist es ein solches. Jedes Object... ist allemal notwendig und zuf�llig zugleich. notwendig in Beziehung auf das eine, zuf�llig in Beziehung auf alles �brige. Denn ihre Ber�hrung in Zeit und Raum mit allem �brigen ist ein blo�es Zusammentreffen, ohne notwendige Verbindung: daher auch die W�rter Zufall, sympt�ma, contingens. So wenig daher, wie ein absolut Notwendiges, ist ein absolut Zuf�lliges denkbar. Denn dieses letztere w�re eben ein Object, welches zu keinem andern im Verh�ltnis der Folge zum Grunde st�nde. Die Unvorstellbarkeit eines solchen ist aber gerade der negativ ausgedr�ckte Inhalt des Satzes vom Grunde, welcher also erst umgesto�en werden mu�te, um ein absolut Zuf�lliges zu denken...« »In der Natur, sofern sie anschauliche Vorstellung ist, ist alles, was geschieht, notwendig, denn es geht aus seiner Ursache hervor. Betrachten wir aber dieses einzelne in Beziehung auf das �brige, welches nicht seine Ursache ist, so erkennen wir es als zuf�llig: dies ist aber schon eine abstracte Reflexion« (W. a. W. u. V. I, 462). Nach K. E. V. BAER ist Zufall »ein Geschehen, das mit einem andern Geschehen zusammentrifft, mit dem es nicht in urs�chlichem. Zusammenhang steht« (Stud. auf d. Gebiete d. Naturwiss. S. 71). Nach R�MELIN besteht Zufall, »wo aus dem zeitlichen und r�umlichen Zusammentreffen von zweien oder mehreren, unter sich durch kein Causalverh�ltnis verbundenen Ereignissen neue Wirkungen hervorgebracht werden, die ohne diesen Contact nicht eingetreten w�ren« (Red. u. Aufs. II, 130). Nach B. CARNERI ist Zufall »nur die Kreuzung verschiedener T�tigkeitsrichtungen, infolge deren das, was aus dem ungest�rten Fortschreiten der einen Richtung entstanden w�re, durch das Eingreifen einer andern, nicht im Causalnexus dieser Richtung liegenden T�tigkeit entweder modificiert wird oder ganz unterbleibt« (Sittl. u. Darwin. S. 124). Nach WINDELBAND ist Zufall (subjectiv) »das durch keine Notwendigkeit bedingte Wirklichwerden einer M�glichkeit« (Die Lehren vom Zufall 1870, S. 4 f.). Die »r�umlich-zeitliche Coincidenz von Tatsachen, zwischen denen kein Verh�ltnis der Causalit�t stattfindet«, ist der relative Zufall (l. c. S. 22. vgl. S. 24). Zufall ist jede Coincidenz von Tatsachen, »die weder miteinander im Verh�ltnis von Ursache und Wirkung stehen noch von einer gemeinschaftlichen Ursache abh�ngen, also nicht notwendig miteinander verbunden sind« (l. c. S. 24 ff.). Der Zufall ist (wie K. FISCHER, Log. u. Met.2, S. 387 sagt) »das vereinzelte Factum« (l. c. S. 27). In keiner Wirkung stellt sich ein einzelnes Gesetz rein dar (l. c. S. 29). Die Modificationen, die F�lle des Gesetzes sind als einzelne F�lle zuf�llig (l. c. S. 30. vgl. TRENDELENBURG, Log. Unt. II, 192). In dem »Eintritt unberechenbarer Nebenbedingungen« besteht der Zufall (l. c. S. 31). Zuf�llig ist ferner, »was entweder gegen oder ohne die menschliche Absicht in dem Bereich der zweckm��igen Handlungen vor sieh geht« (l. c. S. 57), ferner die nicht im Zweck des Weltgeschehens liegenden Nebenwirkungen (l. c. S. 67). In allen F�llen ist der Zufall »ein Princip unserer Betrachtung, nicht ein Princip des Geschehens: er ist eine Anschauungsweise des einzelnen, sofern es in irgend einer Weise vom Allgemeinen getrennt wird, und enth�llt sich immer[840] als eine T�uschung, wo er auf das Allgemeine selbst als Realprincip angewendet werden soll« (l, c. S. 68 f.). »ï¿½berall, wo durch das menschliche Denken das Allgemeine und das Besondere auseinander gerissen werden, entsteht das Ph�nomen der Zuf�lligkeit: die reale Welt als die vollkommene Identit�t des Allgemeinen und des Besondern kennt nur die innige Einheit einer gemeinschaftlichen Wirksamkeit, in der alles, wie es darin seinen Grund der Entstehung hat, auch seine wertvolle Verwendung findet« (l. c. S. 78 ff.). Die Subjectivit�t des Zufalls lehrt M. CARRIERE. Er gilt nur f�r die unbeabsichtigten Ereignisse, die durch die Lebens�u�erungen verschiedener Wesen sich mit ergeben (�sth. II, 33). Den objectiven absoluten Zufall leugnet H. LORM (Grundlos. Optimism. S. 182). so auch E. D�HRING (Wirklichkeitsphilos. S. 380) u. a. Nach WUNDT sind zuf�llig »die Wirkungen derjenigen Ursachen, durch welche die Erscheinungen im einzelnen in unregelm��iger Weise abge�ndert werden, w�hrend sie sich bei geh�ufter Beobachtung vollst�ndig aufheben« (Log. I, 401). Nach SCHUPPE ist etwas zuf�llig »in Relation auf einen solchen Vorg�nger oder Begleiter, dessen Qualit�t mit der des als zuf�llig Bezeichneten nicht gesetzlich vereint ist, sondern letztere weder fordert noch ausschlie�t« (Log. S. 68. vgl. S. 76). M. PAL�GYI erkl�rt: »Eine jede Tatsache ist notwendig, und es gibt nirgends zuf�llige Tatsachen.« In der ewigen Ordnung hat alles seine feste Stelle (Log. auf d. Scheidew. S. 152 ff.). – G. SIMMEL bemerkt: »Die Zuf�lligkeit ist aus unserem Weltbild nicht zu entfernen, weil der Anfang desselben zuf�llig war und alles Sp�tere nur eine Entwicklung dieses ersten Zutandes ist – eine Entwicklung, welche erst unter Voraussetzung eben dieses nicht mehr zuf�llig ist« (Probl. d. Geschichtsphilos. 1892, S. 42). Nach BOUTROUX gibt es in der Natur etwas, was nicht notwendige Folge des Vorhergehenden ist (La contingence des lois de la nature. vgl. JANET, Princ. d. m�t. p. 30 ff.). – Vgl. M. CANTOR, Das Gesetz im Zufall, 1877. L. NO�L, La philos. de la contingence, Revue N�o-Scolastique IX, 1901. – Vgl. Accidens, Contillgenz.
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